Video: IBM - von der Lochkarte zum Quantencomputer (Golem Geschichte)
Golem.de erzählt die über 100-jährige Geschichte von Big Blue im Video.
IBM hat wie kein anderer Konzern die Informationstechnologie der letzten 100 Jahre geprägt. Aus analogen Maschinen mit Lochkarten wurden Röhrenrechner, wurden Mainframes, wurden Personalcomputer, werden Quantencomputer. Nicht immer stand IBM dabei an der Spitze der Entwicklung, mehr als einmal war das Unternehmen von Zerschlagung, Übernahme oder gar Auflösung bedroht. Seine schiere Größe, sein Fokus auf Geschäftskunden und seine Innovationsfähigkeit ließen Big Blue aber alle Krisen bestehen. So hält IBM mehr Patente als seine US-Konkurrenten und investiert hohe Summen in Grundlagenforschung und Entwicklung.
IBMs Wurzeln sind Waagen, Stechuhren und Lochkarten. Der Name des 1911 gegründeten Unternehmens war folgerichtig: Computing-Tabulating-Recording Company. Die Lochkarten hatten ihre Vorteile schon bei der Volkszählung in den USA 1890 unter Beweis gestellt. Stechuhren und Rechenwaagen wurden im Zuge der Industrialisierung unverzichtbar. Der Slogan der Firma: Think.
Im Gegenzug zu nach und nach eingeführten sozialen Neuerungen wie der Anstellung von Frauen, Menschen mit Behinderung und der Aufgabe der Rassentrennung verlangte der Konzern vor allem eines von seinen Mitarbeitern: Loyalität. Ein Dresscode, striktes Alkoholverbot auch in der Freizeit und eine Firmenhymne samt eigenem Liederbuch sollten die Bindung an das Unternehmen stärken. Ebenfalls als hilfreich erwiesen sich Prämien für Verbesserungen und Erfindungen sowie Boni für erfolgreiche Verkäufer.
1924 änderte das inzwischen weltweit operierende Unternehmen seinen sperrigen Namen in International Business Machines.
Der Weltwirtschaftskrise begegnete IBM antizyklisch. Statt Arbeitsplätze abzubauen, stellte das Unternehmen mehr Ingenieure und Verkäufer ein und erweiterte die sozialen Leistungen um Kriegsversehrtenboni und bezahlten Urlaub. IBMs Wette auf die Zukunft ging auf. Als die US-Regierung 1935 eine Sozialversicherung einführte, war das Unternehmen als einziges in der Lage, Maschinen und Infrastruktur für die Datenhaltung von 26 Millionen Menschen zu bieten. Diese Zuverlässigkeit zog weitere Aufträge aus der öffentlichen Hand nach sich. Nicht nur in den USA.
So unterbrach der Konzern seine Kontakte zu Nazideutschland nicht. Im Gegenteil: nach Recherchen des Journalisten Edwin Black profitierte IBM kräftig von der Volkszählung in Deutschland und trug so zur Identifizierung unerwünschter Bevölkerungsgruppen bei. Den Vorwurf, dass der Holocaust in seinem Ausmaß nicht ohne die Technologie des global agierendem Konzerns möglich gewesen wäre, konnte IBM niemals entkräften.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Konzern innerhalb von kurzer Zeit seinen ersten eigenen Computer am Markt etablieren. IBM war wegen seines Fokus auf mechanische Technik zunächst ins Hintertreffen geraten. Der berühmte Ausspruch des damaligen IBM-Chefs Thomas J. Watson, es gebe weltweit nur einen Markt für höchstens fünf Computer, ist übrigens nicht verbürgt. Watsons Sohn restrukturierte den Konzern, um ihn auf die kommende Ära der Halbleiterbauteile vorzubereiten. 1957 stellte IBM intern die Weiterentwicklung jeglicher Röhrentechnologie ein.
Mit der 700er und später der 7000er Serie hatte der Konzern ab Ende der 1950er Jahre konkurrenzfähige Elektronenrechner im Angebot. Sie füllten zwar noch ganze Räume und kosteten in heutiger Währung gut 20.000 Euro Miete im Monat - aber sie galten als erste Vertreter der mittleren Datentechnik, die auch für privatwirtschaftliche Unternehmen finanzierbar waren. Sie verkauften sich zur Überraschung des Herstellers ziemlich gut. Ein weiteres Standbein waren elektrische Kugelkopf-Schreibmaschinen, die unter dem Namen Selectric vertrieben wurden. In dieser Zeit wurden die Unternehmensgrundsätze von IBM formuliert.
In den 1960er Jahren konsolidierte IBM das bislang auf inkompatiblen Systemen aufbauende Computergeschäft. Die Großrechnerarchitektur S/360 war mit immensem finanziellen und personellen Aufwand entwickelt worden und stellte sich nach anfänglichen Problemen als großer Wurf heraus. In den folgenden Jahren beherrschte der Konzern den Markt für Mainframes. Die offenen Spezifikationen ermöglichten es anderen Firmen, Peripherie zu entwickeln und eröffneten Anbietern preiswerterer kompatibler Systeme einen Markt. Ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der weltweiten Dominanz von S/360 war, dass auch hinter dem Eisernen Vorgang Klone der IBM-Computer im Dienste des Sozialismus rechneten. Und noch eine Neuerung am Ende der 1960er Jahre sollte die Zukunft der IT prägen: IBM entkoppelte das Geschäft mit der Hardware von Software und Training. Damit war die Grundlage für zwei neue Industriezweige gelegt.
Der Fluch des Erfolges
In den 1970 Jahren hatten die Ingenieure mit der Produktion und Verbesserung der Großrechner zu tun - und die Außendienstler kamen kaum mit den Bestellungen nach. Aber es gab auch Misserfolge. Ein erster, zaghafter Versuch, einen tragbaren Personalcomputer auf den Markt zu bringen, scheiterte kläglich. Außerhalb der klimatisierten Büros des Großkonzerns begann währenddessen in schlecht gelüfteten Garagen und Hobbykellern die Heimcomputerrevolution. Bei IBM fokussierte man sich weiterhin auf Geschäftskunden und Großrechner und begann im Geheimen, an einem Nachfolger von S/360 zu arbeiten. Dieses Projekt wurde Future Systems genannt und hätte alle existierenden Rechner durch Inkompatibilität obsolet gemacht - auch die eigenen. Dafür sollte es die Softwareentwicklung stark vereinfachen und durch einen verringerten Befehlssatz die Geschwindigkeit steigern.Auch wenn Projekt Future System eingestellt wurde, hatte es weitreichende Folgen: Als Nebenprodukt erschuf ein Entwickler bei IBM den Vorläufer der RISC-Architektur, die heute in jedem Smartphone-Prozessor steckt. Andere wichtige Innovationen aus den IBM-Labors waren die Floppy Disk, die relationale Datenbank und eine erste Spracherkennungssoftware.
T-Shirts und Personalcomputer
Die 1980er begannen bei IBM mit weitreichenden Veränderungen. Der Dresscode wurde abgeschafft und erstmals visierten die Geschäftsprofis bei IBM den Endkunden an. Den Trend zum Personal- oder Mikrocomputer hatte man zunächst ignoriert, aber die sinkenden Marktanteile zwangen den riesigen Konzern zum Umsteuern. Das sollte sich als komplizierter erweisen als angenommen. Die üblichen Entwicklungsprozesse bei IBM waren viel zu träge, um innerhalb kurzer Zeit eine komplette Architektur zur Marktreife zu bringen. Um der Konzernbürokratie zu entrinnen, stellte ein Manager ein schlagkräftiges Team von 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen, das weit weg von der Zentrale in Florida in einer Art Startup-Inkubator arbeiten sollte. Der Plan ging auf. Bereits nach knapp einem Jahr gab es einen funktionierenden Prototyp.
Das 5150 genannte Modell kam im August 1981 auf den Markt. Weil die Entwickler keine Zeit hatten, eigene Komponenten zur Serienreife zu bringen, bestand der Computer hauptsächlich aus bereits frei verkäuflichen Komponenten. Dazu zählte die CPU, ein Intel 8088 Prozessor, der Speichercontroller und der RAM selbst. Diese erstmalige Hinwendung zu einer offenen Architektur erwies sich als zwiespältig. Sie ließ sich zwar nicht patentieren, aber sie ermöglichte es anderen Herstellern, den Standard zu adaptieren und zu erweitern. So überlebte der IBM-kompatible PC als einziger der damaligen Rechnertypen bis in die heutige Zeit. Commodore, Atari, Amstrad, Sinclair und unzählige andere Hersteller konnten wegen ihrer proprietären und wenig flexiblen Architekturen auf Dauer ihre Marktanteile nicht halten.
In den 1980ern musste sich das Unternehmen erneut Vorwürfen stellen, Technologie zur Klassifizierung der Bevölkerung zu verkaufen - IBM belieferte das südafrikanische Apartheidregime mit Computern. Eine Klage südafrikanischer Opferverbände gegen den Konzern wurde 2015 in den USA jedoch abgewiesen.
Die Abkehr IBMs von einer kompletten Integration der Herstellungsprozesse und die Öffnung für Dritthersteller wie Microsoft und Intel verhinderten einen Kartellprozess gegen den Konzern und ermöglichten Innovation - die sich später als gewinnbringend für IBM herausstellen sollte. Zunächst endete das Jahrzehnt aber in einer Abwärtsspirale für den Koloss. Trotz wichtiger Entwicklungen im Netzwerk- und Speicherbereich fand sich IBM am Ende der 1980er mit sinkendem Umsatz und Gewinn in einer ungewöhnlichen Situation wieder. Man hatte jeden Kampf gewonnen - und trotzdem den Krieg verloren.
Fokus, Fokus, Fokus
Die 1990er Jahre begannen im Zeichen von Personalabbau und Neuorientierung. Zunächst spaltete sich der Konzern in einzelne Divisionen auf, in der Hoffnung, so seiner agileren Konkurrenz den Rang abzulaufen. Das erwies sich jedoch als gravierender Fehler. 1993 schloss das Unternehmen mit einem Rekordverlust von 8 Milliarden US-Dollar ab. Die Wende brachte eine starke Konzentration auf Dienste und Software aus einer Hand. Während der Konzern mit Middleware große Gewinne einfahren konnte, fristete sein eigenes Betriebssystem OS/2 jedoch nur ein Nischendasein. Dank der Konzentration auf Produkte mit hohen Gewinnmargen und des weiterhin starken Geschäfts mit Supercomputern war der Konzern ab Mitte der 1990er Jahre wieder profitabel. Was IBM gelernt hatte: Offene Standards, Markenbewusstsein im professionellen Segment und der aufkommende Handel im Netz standen seinen klassischen Leitbild nicht entgegen. Das Wichtigste aber war der Fokus auf integrierte Lösungen aus einer Hand. Das Unternehmen hatte verstanden, dass IBM für seine Kunden mehr darstellte als die Summe seiner Teile.
Auch im neuen Jahrtausend bleibt IBM auf dem Weg der Konsolidierung: vorbei die Zeiten, in denen einzelne Abteilungen miteinander konkurrierten. Der Konzern zählt trotz Hunderttausenden Angestellten und Milliardengewinnen nicht mehr zu den größten Unternehmen der Welt - aber zu den langlebigsten. IBMs Ziel ist es, im Zentrum der Datenökonomie zu bleiben. Mainframes - die heute Supercomputer heißen - machen nur noch einen geringen Anteil am Konzerngewinn aus. Am profitabelsten sind Software und Informationsmanagement. Aber vielleicht kommt der Hardware in Zukunft wieder mehr Bedeutung zu - im Zeitalter des Quantencomputing. Neben dem IBM Q genannten Rechner konzentrieren sich die Forscher in den IBM-Labors unter anderem auf KI, Blockchain und nachhaltige Materialien.
IBM hat sich in den letzten 100 Jahren von einem reinen Hardwarehersteller zu einem Anbieter von IT-Diensten mit einem breiten Spektrum an Leistungen entwickelt. Trotz seiner Größe hat das Unternehmen an Flexibilität gewonnen. In Zukunft will sich IBM auf drei große Themen fokussieren: Cloud Computing, kollaborative Systeme und kognitive IT. Was am Ende der nächsten 100 Jahre Entwicklung stehen wird, lässt sich heute ebenso wenig sagen, wie die Nutzer der Lochkartenmaschinen den Quantencomputer erahnen konnten. IBMs Slogan aber wird dann noch immer aktuell sein. Think.
Als IBM-Mitarbeiter - man merkt erst, wenn man selbst Teil des Ladens ist, wo IBM überall...
Gut kurz und buendig das Wichtigste im Ueberblick ... gefaellt mir ...