Video: Blade Runner (1997) - Golem retro
Unsere Episode Golem retro_ über Blade Runner (1997) von Westwood.
Sprechtext
Prolog
1997 erkundeten Spieler als frisch beförderter Blade Runner Ray McCoy die düstere Cyberpunk-Welt des gleichnamigen Kinoklassikers von Ridley Scott. Dieser wiederum basierte auf Philip K. Dicks Roman Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Wie das Buch und der Film widmete sich das PC-Adventure der Frage, was den Menschen zum Menschen macht.
Aus heutiger Sicht
In Blade Runner ist die verschwimmende Grenze zwischen Menschen und Replikanten neben der durch Kriege zerstörten Welt das größte Problem unserer Spezies. Das Adventure spielte parallel zum Film im fiktiven 2019. Unter normalen Umständen existieren Replikanten nur vier Jahre, wird dieses Datum künstlich umgangen, beispielsweise durch Flucht oder einen Hack, werden sie zu Gesetzlosen. Und die müssen von Blade Runnern aus dem Verkehr gezogen werden.
Dies war die primäre Aufgabe des Spielers. Das bodenständige Adventure war in fünf Kapitel unterteilt, die meist mit einem Mord oder Todesfall begannen, der aufgeklärt werden musste. Was das Spiel derart spannend und besonders machte, war die extrem gelungene Umsetzung der Welt. So ähnlich wie in dem Roman und nahezu identisch zur Verfilmung gelang es Westwood, den Spieler im postapokalyptischen Los Angeles quasi gefangen zu nehmen.
Wie der Film nahm sich auch das Adventure viel Zeit, um Charaktere aufzubauen und die düstere und dennoch lebendige Welt zu zeigen. Auf den Marktplätzen tummelten sich zahlreiche NPCs, überall waberten Nebelschwaden und Abgase, der saure Regen plätscherte grafisch eindrucksvoll - und natürlich vergaßen die Entwickler auch nicht die ikonischen Neon-Werbetafeln.
Der Spiel-Blade-Runner McCoy zeigte Parallelen zum Filmhelden Deckard - gespielt von Harrison Ford - war aber gesichtslos genug, um die Identifikation mit ihm zu erleichtern. Spieler fühlten sich schnell selbst wie ein Blade Runner, und wie der sich genau charakterisierte, wurde durch den zweiten großen Clou des Spiels definiert: In den Optionen war es nämlich möglich, McCoy einen von drei vorgegebenen Charakterzügen zuzuweisen oder die Entscheidungen alle selbst zu übernehmen und von Fall für Fall einzeln zu überdenken.
Die Zufallsgenerierung mancher Ereignisse führte dazu, dass auch beim mehrmaligen Durchspielen zumindest Nuancen der Handlung anders verlaufen konnten. So lagen bestimmte Gegenstände an unterschiedlichen Stellen oder konnten gar nicht gefunden werden. Manche Charaktere waren nicht immer am gleichen Ort.
Für das Genre unüblich waren die wenigen, aber bedeutsamen Actionpassagen. Hier mussten Spieler in Bruchteilen von Sekunden reagieren und Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Die Handlung lief mitunter weiter, wenn ein eigentliches Spielziel durch eine zu späte Reaktion verfehlt wurde. An anderen Stellen bedeutete ein zu später Mausklick aber den Tod McCoys mit anschließendem Ladebildschirm.
Mensch oder Replikant?
Können Replikanten Empathie empfinden, wie menschlich sind sie? Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, nutzten Spieler im PC-Adventure genau wie im Film den Voight-Kampff-Test.
Der maß Blutdruck, Atemfrequenz, Erröten und Augenbewegungen des Befragten und versuchte so, die Menschlichkeit im Empathievermögen zu entdecken. Emotionale Reaktionen gab es zuhauf im Spiel, aber genau wie im Hollywoodfilm war man sich trotzdem nie so richtig sicher, ob der Voight-Kampff-Test ernst zu nehmende oder gar wissenschaftliche Ergebnisse ausspucken würde. Und so kam der Spieler selbst in die Position, einschätzen zu müssen, ob ein Charakter Replikant oder Mensch war.
Da nach dem Atomkrieg echte Tiere selten geworden sind, gelten in der Welt von Blade Runner Haustiere als Statussymbole. Auch mit diesem Umstand beschäftigte sich das Spiel. Insektenbastler erschufen künstliches Futter für echte Schlangen, echte Tiere fielen den Replikanten zum Opfer. Bei McCoy selbst lebte die Hündin Maggie, ein Luxus, den sich der Blade Runner von seinem ersten Gehalt gönnte. In Dicks Roman beherbergt Deckard ein elektrisches Schaf und im Film einen Hund. Wer oder was am Ende Gefühle wie Liebe, Hass und Neid wem gegenüber empfand, darüber ließ sich famos debattieren.
Das offene Ende des Spiels mit zwölf möglichen Sequenzen definierte sich durch die Augen und die Empathie des Spielers. Perspektivismus und Kontruktivismus standen stets im Konflikt und mussten angewandt werden, um das Spiel voranzutreiben.
Man konnte sich am Ende nicht mehr sicher sein, was real oder fabriziert war. Welche Erinnerungen waren echt, welche künstlich erschaffen? Hinweise, die der Spieler anhand von unrealistischen Computerberechnungen bei der Fotoanalyse bezog, entschieden über Leben und Tod.
Technik & Entwicklung
Blade Runner war ein technisches Meisterwerk seiner Zeit. Wie gut das Adventure technisch umgesetzt wurde, bewies der Umstand, dass der Mix aus zweidimensionalen Hintergründen, 3D-Voxelfiguren und vielen dynamischen Alpha-Effekte für Regen und Nebel selbst auf einem PC mit Pentium-CPU auf 90 Megahertz flüssig lief. CGI-Sequenzen wurden ebenfalls mit Alpha-Kanälen über die Spielgrafik gelegt, wodurch ein direktes Weiterspielen nach den beeindruckenden Videosequenzen möglich war.
Die Illusion, in der vom Film dargestellten Welt unterwegs zu sein, war überaus beeindruckend.
Blade Runner wurde in einer sehr schicken Verpackung vertrieben. Auf den vier CDs waren die Protagonisten abgebildet und das umfangreiche Handbuch erleichterte den Einstieg ins Spiel - die vorherige Lektüre lohnte sich also.
Der Soundtrack übernahm einige Passagen aus dem Film. Vangelis kam mit dem Yamaha CS-80-Synthesizer also ebenfalls zum Einsatz, was für die hervorragende Atmosphäre sorgte.
Das Adventure wurde in Deutschland komplett übersetzt und vertont. Im Original sprachen mehrere Nebendarsteller des Films auch ihre Rollen im Spiel.
Blade Runner heute spielen
Die Installation von Blade Runner gelingt auch auf modernen 64-Bit-PCs unter Windows 10 relativ einfach, sofern die Original-CDs oder deren Images vorliegen. Der deutsche Blog Replaying.de hat einen modernen Client für das Spiel programmiert und bietet auch die gepatchten Dateien an, die das Spiel heute benötigt.
Wir legen das Adventure primär Fans der Filme nahe. Westwood ist der Nachbau der Cyberpunk-Welt extrem gut gelungen und die Handlung erzeugt im Spieler ähnliche Gefühle wie der Film. Die Zufallsgenerierung mancher Ereignisse führt dazu, dass auch beim mehrmaligen Durchspielen zumindest Nuancen der Handlung anders verlaufen. Etwas nervig sind aber die Passagen, in denen es einfach nicht weitergeht, weil ein kleines Detail oder ein Hinweis erst gefunden werden muss - aber die halten sich in Grenzen. Wir empfehlen trotzdem, häufig zu speichern.
Insgesamt ist Blade Runner von Westwood ein weit überdurchschnittliches Science-Fiction-Adventure.
Ich wünschte ich wüsste noch, wem ich damals meine Blade Runner Box mit den 4 CD's...